Schmerzenmutter/ Mater Dolorosa von Gaza

Palästinensische Pieta
Bildrechte Thomas Amberg

Palästinensische Pietà.

Schmerzenmutter - Mater Dolorosa von Gaza

Nürnberg 9. bis 16. April 2025 / vor St. Lorenz

Performance zur Passion: Pfarrer Dr. Thomas Amberg

 

Die Tragödie von Gaza, die seit eineinhalb Jahren dauert, verdichtet sich in diesem Bild: die 36-Jährige Frau Inas Abu Ma‘amar hält die Leiche ihrer 5-Jährigen Nichte Sally im Arm, die am 17. Oktober 2023 bei einem israelischen Luftangriff getötet wurde. Das Foto wurde im Nasser-Krankenhaus in Khan Yunis im Gaza-Streifen aufgenommen. Inmitten eines brutalen Krieges mit mittlerweile mehr als 50.000 größtenteils zivilen Todesopfern, viele von ihnen Kinder, fängt der palästinensische Fotograph Mohammed Salem einen schmerzlich intimen Moment ein: zwei Lebensschicksale vereint im Tod, der sie für immer trennt, treten aus der Namenlosigkeit menschenverachtender Gewalt. Mit respektvoll verborgenen Gesichtern sprechen sie uns an und stellen sich der erschreckenden Entmenschlichung und immer weiter wachsenden Empathielosigkeit dieses brutalen Krieges entgegen.

Das Foto ging um die Welt und erhielt den „World Press Photo Award“ 2023. Dass es so viele Menschen anspricht liegt sicherlich auch daran, dass es in vielem an eine sog. Pietà erinnert:  So wird in der europäischen Kunst seit dem Mittelalter ein Andachtsbild oder eine Statue bezeichnet, die Maria, die Mutter Jesu zeigen, die nach der Kreuzabnahme voller Schmerz den Körper ihres toten Sohnes auf ihrem Schoß hält. Die Darstellung der “schmerzhaften Mutter” (lat. Mater Dolorosa) wurde von vielen berühmten Künstlern wie Michelangelo dargestellt und verweist auf die Mitte der christlichen Passionsfrömmigkeit:

Der Leichnam des Sohnes auf dem Schoß derer, die ihn geboren hat, ein Moment der Intimität, tragisch angesichts der Faktizität des Todes. Die „Mutter Gottes“ hält den „Gottessohn“: Fermate am Ende der Katastrophe, der Leidensgeschichte des Messias. Die Botschaft von der Liebe Gottes, zerrieben in der Mühle der Gewalt? Damals wie heute? Triumph der Macht über die Machtlosigkeit? Null und nichtig? Jesu Zeichen, Berührungen und lebenspendende Worte? Alles vergebens?

Kein Ostern ohne das Kreuz! Kein Halleluja ohne das klagende Wimmern dieser Mutter über den toten Sohn. Es sind die Frauen (unter ihnen auch Maria), die nach der überhasteten Grablegung am dritten Tag im Morgengrauen den Leichnam liebevoll salben wollen. Zuerst zu ihnen dringen die Worte der Osterbotschaft „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten. Er ist nicht hier, er ist auferstanden“ (Lk.24,5f.). Aus der Tiefe von Leid, Schmerz und Tod wächst die Osterfreude, Quellort und Samen unseren christlichen Glaubens, nur aus dieser Tiefe! Kein „billiges“ Ostern auch für uns, kein Ostern, ohne dass wir die Wehklage der Trauernden Mutter an uns heranlassen, die uns in diesem Foto aus Gaza wortlos anschreit!

Die Performance „Palästinensische Pietà“ in Nürnberg

Acht Tage lang, bis zum Beginn der Kartage, von Mittwoch 9. bis Mittwoch 16. April, jeweils 18 bis 18.30 Uhr, teile ich hier in Nürnberg auf den Stufen vor der Lorenzkirche meinen Körper mit der trauernden Inas Abu Ma‘amar aus Gaza. Gekleidet in eine dunkelblaue Abaya, ein arabisches Frauengewand, in ähnlicher Körperhaltung über ein weißes Stoffbündel gebeucht, visualisiere ich als „geistliche Performance“ das ikonische Bild dieser „Palästinensischen Pietà“ aus dem Pressefoto von 2023.

Als christlicher Mann gebe ich dem Schmerz der muslimischen Frau aus Gaza einen sichtbaren Ort hier in Deutschland. Mein Gesicht wird dabei, ebenso wie auf dem Ursprungsbild nicht zu sehen sein. Gegen die Marginalisierung und das mediale Ausblenden des unaussprechlichen menschlichen Leides in Gaza, transformiert die Performance die Realität der täglichen Sterbens unzähliger, unschuldiger Menschen in Gaza ins Bewusstsein der Passanten in Nürnberg und Deutschland.

Visuelle Irritation und ästhetische Konfrontation sind dabei bewusst eingeplant: die Realisierung direkt vor der Lorenzkirche stellt das „Kunstwerk“ gleichzeitig von Anfang an in einen geistlich-christlichen Deutungsrahmen und verstärkt die Pietà-Bezüge. Zudem findet die Performance an den letzten acht Tagen vor Beginn der drei „heiligen Tage“ (Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern) statt. Ein deutlich sichtbares Roll-Up erklärt interessierten Menschen in wenigen Sätzen in deutscher und englischer Sprache die hier ausführlicher dargestellten Bezüge der Performance. Interessierte können vor Ort über einen Hand-Zettel mit QR-Code über ein Youtube-Video (dt. und engl.) Hintergründe zur Performance erfahren, wie sie hier erläutert werden.

Diese Performance ist nicht in erste Linie eine politische Aussage, sondern vor allem eine geistliche Aussage. Sie ist ein künstlerischer Ausdruck persönlicher, ja existentieller Not. Auf dem Höhepunkt der Passionszeit ist sie Ausdrucks der Verzweiflung eines Vaters, der im Tod jedes Kindes, ob jüdisch, christlich, muslimisch oder gleich welcher Weltanschauung, den Tod seiner eigenen Kinder als Möglichkeit empfindet. Sie ist auch Ausdruck eines evangelischen Theologen, der verzweifelt an der Haltung seiner Kirche, die ihrem Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus nicht klar genug in Wort und Tat mit einem entschiedenen Eintreten gegen Völkerrechtsverletzungen und israelische Besatzungspolitik zum Ausdruck bringt. Was dies mit Blick auf eine „öffentliche“ kirchliche Theologie im Verhältnis zum gegenwärtigen Handeln des Staates Israel bedeuten muss, habe ich in einigen Thesen  separat dokumentiert (siehe Dokument im Anhang) und stelle diese gerne zur theologischen Diskussion.